In dieser Lektion erklären wir dir wie du die „Gut-Böse-Übung“ als niedrigschwellige und kurzweilige Übung einsetzen kannst, um an der Stärkung von Ambiguitätstoleranz zu arbeiten.
Es wurde speziell für das Arbeitsfeld der Mobilen Jugendarbeit konzipiert, kann aber auch in anderen Konstellationen und Variationen eingesetzt werden. Innerhalb der Ansätze der Fachstelle Extremismusdistanzierung wird mit der abgewandelten Gruppenvariante gerne als Einstieg bei Workshop oder Vortragsformaten gearbeitet. Da sich die Kartenspielvariante auch erst nach der Gruppenvariante konkretisierte erscheint es schlüssig zunächst diesen Ansatz zu beschreiben und dann die Variation für die Straße.
Gruppenvariante
Stellen wir uns eine Gruppe vor mit der wir einen gemeinsamen Inhalt bearbeiten möchten, bei dem Dualismen eine Rolle spielen oder bei dem später in besonderem Maße die Attribute gut und böse von Bedeutung sein sollen und wählen diese Übung als lockeren Einstieg ins Thema.
Zunächst wird reihum auf zwei durchgezählt. Bei einer geraden Anzahl Personen sind anschließend gleich viele der Eins wie der Zwei zugeordnet. Bei ungeraden Gruppen, kann entweder die Spielleitung mit der verbleibenden Person eine Gruppe bilden oder eine Dreiergruppe gebildet werden.
Nach dieser Einteilung wird offenbart, dass die Personen Eins nun die Guten und die Zwei die Bösen sind, folgt die Beschreibung der Arbeitsaufgabe:
In den Zweiergruppen sollen sich nun die Personen Eins, einen für sie prototypisch guten und die Personen Zwei einen prototypisch bösen fiktiven Charakter überlegen. Es ist an dieser Stelle besonders wichtig auf die Fiktionalität der Charaktere hinzuweisen. Es soll ja eine Diskussion auf der Metaebene angeregt werden aus der Praxis empfiehlt sich dies mit zwei, drei Beispielen zu triggern (Batman, Bellatrix Lestrange etc.)
Die Ergebnisse sollen danach im Plenum kurz vorgestellt werden auf der Grundlage von drei Fragestellungen:
1. Wer bin ich?
Gerade bei Altersheterogenen Gruppen kann es vorkommen, dass ein Charakter noch kurz mitsamt dem fiktiven Universum vorgestellt werden muss.
2. Aus welchem Film/Welcher Serie/Welchem Medium?
An dieser Stelle lohnt es sich, auf das eingangs gewählte Beispiel, zu rekurrieren. Der Hintergrund ist, dass wählt man bspw. Batman als Guten Charakter, es in der Begründung warum, einen fundamentalen Unterschied macht, ob es sich um den Batman aus der 1970er Jahre Fernsehserie handelt oder Ben Affleck, der mit einem der Grundmaximen von Batman gebrochen hat – er nutzt Waffen und tötet.
3. Warum gut/Warum böse?
Dies ist der Kern der Übung und soll den Beweggründen Raum geben, der als Grundlage für die Entscheidung diente.
Für die Diskussion können nun unterschiedliche Zeitfenster zur Verfügung gestellt werden – je nach Umsetzungserfahrung und Kenntnis der Gruppe. In den Settings der Fachstelle wurde mit dieser Übung von 5 bis 15 Minuten gearbeitet. Es empfiehlt sich lieber etwas mehr Zeit zu anzugeben und die Gruppe zu beobachten, wann Diskussionen in den Kleingruppen andere Themen zum Inhalt haben.
Reflexion im Plenum
Bei großen Gruppen können nicht alle Ergebnisse im Plenum vorgestellt werden bzw. muss hierfür noch einmal ausreichend Zeit eingeplant werden. Das wesentliche passiert bei dieser Übung nun im Plenum. Die Spielleitung ruft die einzelnen Gruppen auf und lässt die gefundenen Charaktere samt Begründungen vorstellen. Oftmals geben die Gruppen an dieser Stelle bei Uneindeutigkeiten Einblick in den Diskussionsverlauf. Ansonsten wird das Plenum befragt, ob es denn andere Meinungen bei der Zuordnung gibt. Die Spielleitung achtet hierbei darauf, dass es eben nicht darum geht Eindeutigkeit und absoluten Konsens herzustellen. Vielmehr geht es darum unterschiedliche Sichtweisen zu einzelnen Charakteren herauszuarbeiten und somit die klare Zuordnung zu hinterfragen.
Handlungsleitender Ansatz hierbei ist die sokratische Methode der Mäeutik, auch bekannt als Hebammentechnik. Bei dieser Form der Dialogführung greift die Spielleitung fragend ins Geschehen ein und verhilft dem Gegenüber so selbst in eine kritische Reflexion zu gelangen. Als flankierendes Element kann hierbei auch auf systemische Fragestellungen oder Gesprächsführungstechniken der klientenzentrierten Psychotherapie nach Rogers zurückgegriffen werden. Aktives Zuhören für sich oder in Kombination mit szenischer Didaktik. Aussagen werden wiederholt und in der fiktiven Welt des Charakters hypothetisch zu Ende gedacht. Probleme, Lösungen, Einstellungen, Verhalten und Reaktionen können rein auf der Metaebene des fiktionalen Settings diskutiert werden.
Warum die Metaebene?
Warum nun aber über Gut und Böse mit Filmcharakteren und nicht mit realen eventuell aktuell problematischen Bezugspunkten von Jugendlichen diskutieren. Warum nicht darüber streiten, ob Putin, Beatrix von Storch, Erdoğan, Rosa Luxemburg, Erich Honecker oder gar Erika Steinbach gut oder böse sind. Der simple pädagogische Hintergrund hierfür ist das so genannte aversive Verhalten. Stellen wir uns also vor, einzelne Personen aus der Gruppe kokettieren aktuell bereits mit problematischen Ideologien.
Extremistische Ideologien und noch viel mehr ihre Narrativen Versatzstücke sind gerade in ihren popkulturellen Dimensionen und dem Aufgreifen tatsächlicher oder gefühlter Benachteiligungen Identitätsstiftend. Wer also mit einem jungen Menschen, der gerade in Hizb-ut Tahir und deren Sichtweise auf die einzig legitime Variante des Islams diskutieren möchte und das Thema Islam setzt, löst vielleicht beim Gegenüber direkt den Druck zur Rechtfertigung und der Verteidigungshaltung aus. Gerade wenn noch keine belastbare Beziehung aufgebaut ist und sich noch keine Interventionsberechtigung erarbeitet wurde, setzt die Auseinandersetzung am eventuell falschen Ende an.
Die Übung im fiktiven Kontext dient damit nicht nur Uneindeutigkeiten zu stärken, sondern dafür zu sensibilisieren, dass Menschen durchaus bereits Mehrdeutigkeiten akzeptieren – in ausgewählten Bereichen. Diese zu transferieren und die Perspektive zu wechseln kann auf der Grundlage geschehen, dass durch die Übung gerade auch gemeinsame Vorstellungen von Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit, die Unterscheidung in der Bewertung auf der Ebene der Mittel und der Ziele erfolgt. Die Übung ist daher als eine Art Ankerpunkt in der präventiven politischen Bildungsarbeit zu verorten.