Heimat: Ein fluides Konzept in Zeiten der Superdiversität

Impulsvortrag von Derya Şahan

„Heimat ist das, was wir aus uns selbst machen“, sagte der indische Schriftsteller Salman Rushdie. Dieses Zitat verdeutlicht, dass Heimat ein Begriff ist, der eine Vielzahl von Assoziationen weckt und unterschiedlichste Emotionen hervorrufen kann. Für viele Menschen ist Heimat eng mit Erinnerungen an Kindheit, Familie und Geborgenheit verbunden. Doch für viele von uns, die in einer globalisierten Welt leben und verschiedene Kulturen und Identitäten in sich tragen, ist die Vorstellung von Heimat komplexer und facettenreicher.

Wie gestaltet sich Heimat für Menschen, die mit einer dynamischen und vielfältigen Identität leben? Ist Heimat ein Ort, zu dem man immer wieder zurückkehrt, oder vielmehr ein Gefühl, das in uns wächst und sich an verschiedene Orte und Menschen bindet? Der Begriff „Heimat“ ist heute vielschichtiger, als er es früher war. Unsere moderne Gesellschaft braucht eine Perspektive auf Heimat, die über einfache Definitionen hinausgeht und Raum schafft für die Vielfalt der Wege, auf denen Menschen sich beheimatet fühlen können.

Heimat als dynamisches Konzept

Heimat wird oft als ein statischer Ort wahrgenommen, als Gefühl der Geborgenheit, das an ein geografisches Umfeld gebunden ist. Doch in unserer globalisierten Welt, in der Menschen, Kulturen und Ideen ständig in Bewegung sind, verschieben sich auch die Grenzen von Heimat. Unsere Vorstellungen sind nicht nur durch persönliche Erfahrungen geprägt, sondern auch durch gesellschaftliche Diskurse und Medienbilder, die oft eine idealisierte oder romantisierte Heimat darstellen.

Die Soziologin Aleida Assmann beschreibt Heimat treffend als „einen Raum, den wir mit Bedeutung füllen“ (Assmann, 2006). Diese Sichtweise verdeutlicht, dass Heimat keine feste Größe ist, sondern sich durch unsere Erlebnisse und Beziehungen ständig weiterentwickelt.

Dr. Hussein Hamdan, Marion Gentges MdL, Eren Güvercin, Derya Şahan (v.l.n.r.)

Heimat in Zeiten der Superdiversität

Steven Vertovec prägte den Begriff „Superdiversität“, um die Komplexität moderner Gesellschaften zu beschreiben. Es geht dabei nicht nur um ethnische Vielfalt, sondern auch um unterschiedliche Lebenswelten, Sprachen, Religionen und soziale Hintergründe. Superdiversität macht uns bewusst, dass Heimat in einer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr durch eine simple Trennung zwischen „uns“ und „den anderen“ beschrieben werden kann.

Eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld zeigt, dass über 60 % der Befragten „Heimat“ mit emotionaler Geborgenheit und familiären Bindungen assoziieren, während nur 35 % geografische Merkmale als entscheidend erachten. Dies verdeutlicht, dass sich das Verständnis von Heimat verändert und diversifiziert hat.

Migration: Eine Chance zur Neudefinition von Heimat

Migration wird oft als Bedrohung wahrgenommen. Doch sie bietet auch eine Chance, den Begriff Heimat neu zu definieren. In einer superdiversen Gesellschaft wie Deutschland tragen Menschen aus verschiedenen Kulturen dazu bei, das Heimatverständnis zu erweitern. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt in der Extremismusprävention, da Migration zur Überwindung von Abgrenzungen beitragen kann.

„Migration ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Quelle von Innovation, Wachstum und Wohlstand“, sagte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan. Indem wir Heimat als ein offenes und inklusives Konzept verstehen, schaffen wir Raum für Zugehörigkeit und Teilhabe.

Heimat als Prozess und Inklusion

Heimat ist kein fertiges Produkt, sondern ein Prozess. Sie entsteht durch den Dialog und das Miteinander. In einer superdiversen Gesellschaft müssen wir uns fragen, wie wir Zugehörigkeit schaffen können, ohne bestimmte Gruppen auszuschließen. Die Soziologin Yasemin Karakaşoğlu betont in ihren Studien, wie wichtig es ist, die Zugehörigkeit von Migranten anzuerkennen, um eine echte Teilhabe zu ermöglichen.

Dr. Hussein Hamdan, Marion Gentges MdL, Eren Güvercin, Derya Şahan, Pfarrer Jens Junginger (v.l.n.r.)

Fazit: Heimat als offener Raum

Heimat darf kein statisches Gebilde sein. Sie sollte ein offener Raum sein, der durch die Geschichten und Identitäten all jener bereichert wird, die darin leben. Eine inklusive Heimat ist nur dann möglich, wenn wir sie dynamisch und pluralistisch denken. Superdiversität zeigt uns, dass die Realität unserer Gesellschaften komplex ist – und dass wir diese Komplexität als Stärke begreifen sollten.