Kulturelle Hegemonie | Neue Rechte

Warum das Weltbild der neuen Rechten für ihre eigenen Anhänger unattraktiv sein müsste – und welche Gefahr die Begriffsübernahme birgt

Warum es mehr braucht als einen Blick auf einzelne Akteure

Immer wieder richten sich Schlagzeilen und Debatten auf Personen wie Elon Musk, Tucker Carlson oder die Vordenker der neuen Rechten in Europa. Es ist leicht, sich auf ihre Persönlichkeiten und Taten zu konzentrieren – doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Was diese Figuren eint, ist weniger ihre individuelle Macht, sondern die Mechanismen, die sie nutzen. Mechanismen, die darauf abzielen, die Deutungsmacht über gesellschaftliche Diskurse zu erlangen und sie in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Einer dieser Mechanismen ist der sogenannte „Kulturkampf“. Doch was bedeutet das genau? Und warum greifen neue Rechte dabei auf Theorien eines marxistischen Philosophen zurück, der eigentlich für das Gegenteil ihrer Ziele stand? Ein Blick auf Antonio Gramsci, Alain de Benoist und das Weltbild der neuen Rechten zeigt: Es ist ein Modell voller Widersprüche, das universelle Werte gefährdet – und selbst für die Anhänger der neuen Rechten moralisch unattraktiv sein müsste.

1. Was ist kulturelle Hegemonie? Und was wollte Antonio Gramsci?

Der Begriff der kulturellen Hegemonie stammt von Antonio Gramsci, einem italienischen Marxisten, der in den 1920er und 30er Jahren darüber nachdachte, wie gesellschaftlicher Wandel erreicht werden kann. Für Gramsci war Macht nicht nur eine Frage von ökonomischer Kontrolle oder physischer Gewalt. Viel wichtiger war für ihn die Frage: Wer prägt die Werte, Normen und Weltbilder einer Gesellschaft?

Gramsci sprach von zwei Formen des Machtkampfes:

  • „War of Maneuver“: Der direkte, oft revolutionäre Kampf um die Kontrolle über den Staat.
  • „War of Position“: Der langwierige, kulturelle Kampf um Köpfe und Herzen, um den Konsens der Gesellschaft.

Sein Ziel war eine Gesellschaft, die auf Pluralität und sozialer Gerechtigkeit basiert. Für Gramsci war kulturelle Hegemonie ein Werkzeug der Befreiung – doch später wurde dieses Konzept von einer ganz anderen Seite adaptiert.

2. Wie benutzt die neue Rechte Gramsci?

Alain de Benoist, ein zentraler Vordenker der neuen Rechten, erkannte in Gramscis Konzept des „War of Position“ eine strategische Chance. Warum nicht einen eigenen Kulturkampf führen? Warum nicht versuchen, konservative und rechte Werte in Medien, Kultur und Bildung zu verankern?

Doch die Ziele der neuen Rechten unterscheiden sich grundlegend von Gramscis Vision. Während Gramsci Pluralität und Teilhabe fördern wollte, geht es der neuen Rechten um Exklusion und Homogenität. Werte wie nationale Identität, Hierarchie und Tradition stehen im Mittelpunkt. Der Feind ist klar: „Die Linken“ – ein oft diffus definierter Begriff, der alles umfasst, was Universalität und Offenheit fordert.

Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich ein grundlegender Widerspruch: Dieses Weltbild bietet keine positiven Visionen, die über die eigene Gruppe hinausgehen. Es ist partikular und schließt systematisch aus.

3. Die Mitte: Formbar oder entmündigt?

Die neue Rechte sieht die „Mitte“ der Gesellschaft als ihr Ziel. Doch in ihrer Logik wird diese Mitte nicht als eigenständiger Akteur betrachtet. Sie ist eine manipulierbare Masse, die von einer linken kulturellen Hegemonie „verführt“ wurde. Jetzt müsse sie durch eine rechte Gegen-Hegemonie „aufgeweckt“ werden.

Hier zeigt sich ein fundamentaler Widerspruch:

  • Wenn die Mitte so manipulierbar ist, wie behauptet, wo bleibt dann die Stärke und Freiheit, die die neue Rechte propagiert?
  • Und wenn das rechte Weltbild für Stabilität und Tradition steht, wie konnte es dann so leicht überrumpelt werden?

Diese Logik entzieht dem Konzept der „Mitte“ jede Eigenständigkeit und degradiert es zu einem Spielball im ideologischen Machtkampf. Was bleibt, ist ein Bild von Menschen als entmündigten Objekten – und das ist weder für die Mitte selbst noch für das rechte Weltbild attraktiv.


Zwischenfazit 1: Ein Volk ohne Wert – die innere Leere des rechten Volksbegriffs

Ein zentraler Begriff im rechten Weltbild ist der des „Volkes“. Doch betrachten wir ihn einmal in der Logik dieses Weltbildes selbst: Was bleibt von diesem Volk übrig, wenn es – wie die rechte Argumentation suggeriert – keine autonome Einheit ist, sondern eine formbare, manipulierbare Masse?

Die Entmenschlichung des Volkes:
In der Logik der neuen Rechten wird das Volk entmenschlicht. Es ist kein Kollektiv von freien, souveränen Individuen, sondern ein Spielball in einem ideologischen Kampf. Wenn das Volk erst durch die kulturelle Hegemonie „verführt“ wurde und nun durch Gegenmanipulation „wiederhergestellt“ werden muss, bleibt kein Raum für Freiheit oder Eigenständigkeit. Das Volk wird zu einer bloßen Projektionsfläche für ideologische Kämpfe.

Ein widersprüchliches Ursprungsversprechen:
Das rechte Weltbild behauptet, das Volk müsse zu etwas „Ursprünglichem“ zurückgeführt werden. Doch was genau soll dieses Ursprüngliche sein? Wenn dieses ursprüngliche Volk so manipulierbar war, dass es durch linke Hegemonie überrumpelt werden konnte, wie stabil oder wertvoll kann diese Ursprünglichkeit dann sein?

Der Erfolg der linken Ideologie als Widerspruch:
Innerhalb der rechten Logik könnte man sogar fragen: Wenn Werte sich durch Stärke und Erfolg definieren, wäre die linke Ideologie in diesem Weltbild nicht die bessere? Immerhin hat sie – aus Sicht der neuen Rechten – global an Einfluss gewonnen. Doch statt diesen Erfolg zu akzeptieren, wird er als Verrat oder Verfremdung dargestellt, ohne dass die rechte Seite selbst eine überzeugende Vision entgegensetzt.

Die entscheidende Frage:
Ein Volk, das nur als formbare Masse gesehen wird, dessen Werte nur durch ideologische Kämpfe definiert sind, bietet keinen attraktiven oder stabilen Bezugspunkt – weder für Rechte noch für andere. Warum also sollte man ein Weltbild stützen, das das Volk selbst entwertet und entmündigt?

Zwischenfazit 2: Ein Weltbild ohne universelle Attraktivität

Wenn wir das Weltbild der neuen Rechten emotionslos betrachten, erkennen wir ein Modell, das von einem fundamentalen Antagonismus zwischen „rechts“ und „links“ ausgeht. Diese Gegenüberstellung erinnert an mythische Konstruktionen wie den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Doch im Gegensatz zu religiösen Konzepten, in denen das „Gute“ oft durch Liebe, Barmherzigkeit oder universelle Prinzipien definiert wird, bleibt im rechten Weltbild unklar, was die rechte Seite eigentlich als „gut“ qualifiziert.

Warum soll rechts die gute Seite sein?
Die rechte Seite liefert keine universelle Vision, die für eine größere Gruppe attraktiv wäre. Ihre Werte sind partikular und exkludierend: Stärke, Tradition und Homogenität sprechen nur spezifische Gruppen an und schließen andere aus. Diese Werte können keine moralische Grundlage bieten, die für alle gilt.

Ein weiterer Widerspruch:
Wenn rechts für Stärke und Tradition steht, wie konnte es dann so massiv von der linken Seite „überrumpelt“ werden? Dieses Weltbild erklärt nicht, warum die rechte Seite überhaupt ihre angebliche moralische Vorherrschaft verloren hat – und bietet keine positive Vision, um sie wiederzuerlangen.

Die entscheidende Frage:
Wenn rechts keine universelle Attraktivität und keine moralische Grundlage hat, bleibt nur die Abwertung der linken Seite. Doch warum sollte man sich auf diese Seite stellen, wenn sie keine eigenen Versprechen erfüllt? Was sagt das über ein Weltbild aus, das auf Angst und Ausschluss basiert?

4. Die Gefahr der Begriffsübernahme: Warum universelle Werte nicht „links“ sind

Die zentrale Gefahr des rechten Weltbildes liegt darin, dass es Begriffe und Werte in eine Dichotomie zwingt, die ihnen nicht gerecht wird. Wenn universelle Prinzipien wie Menschenrechte, Gleichheit oder Freiheit als „links“ markiert werden, geraten sie in eine politische Debatte, die ihre Universalität infrage stellt. Doch Menschenrechte gehören niemandem – weder links noch rechts. Sie sind die Grundlage jeder demokratischen Gesellschaft.

Indem wir diese Begriffe unkritisch übernehmen, spielen wir das Spiel der neuen Rechten mit. Stattdessen müssen wir klarstellen: Menschenrechte, Freiheit und Würde sind überpolitisch und nicht verhandelbar.

Fazit: Ein Weltbild ohne Zukunft – und was wir daraus lernen können

Das Weltbild der neuen Rechten entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Modell voller Widersprüche. Es bietet keine universelle Grundlage, keine echte moralische Attraktivität und keinen stabilen Bezugspunkt – weder für die Gesellschaft noch für die Menschen, die es ansprechen soll. Doch warum ist es dann überhaupt relevant, sich damit auseinanderzusetzen? Warum dieser Text, und warum genau jetzt?


1. Die Gefahr der Denkweisen in Begriffen

Es geht nicht nur um die Begriffe „links“ und „rechts“. Vielmehr liegt das Problem in den insinuierten Denkweisen, die durch diese Begriffe transportiert werden. Wenn universelle Prinzipien wie Menschenrechte, Freiheit und der Schutz von Minderheiten pauschal als „links“ etikettiert werden, übernehmen wir unbewusst die Logik eines Weltbildes, das diese Werte politisiert und sie somit als verhandelbar erscheinen lässt.

Doch Menschenrechte sind nicht links – sie sind überpolitisch. Ebenso wie es innerhalb eines demokratischen Spektrums legitime linke und rechte Positionen geben muss, die beide auf der Grundlage universeller Prinzipien agieren, dürfen wir nicht zulassen, dass die Universalität dieser Werte infrage gestellt wird. Rechts als politisches Spektrum darf nicht gleichgesetzt werden mit der Infragestellung dieser Prinzipien. Wenn wir jedoch Begriffe wie „links“ für Engagement im Bereich der Diversität oder des Minderheitenschutzes unkritisch verwenden, tragen wir unabsichtlich dazu bei, diese Universalität zu untergraben.


2. Widersprüche aufzeigen: Gespräche innerhalb der rechten Logik

Es genügt nicht, das Weltbild der neuen Rechten aus einer externen Perspektive als unattraktiv zu entlarven, weil es Vielfalt, Pluralität und Menschenrechte ablehnt. Viel entscheidender ist es, die inneren Widersprüche dieses Weltbildes aufzuzeigen – und zwar in einer Weise, die für Menschen innerhalb dieser Logik nachvollziehbar ist.

  • Das Fehlen moralischer Antworten: Menschen suchen in Weltbildern nicht nur Erklärungen, sondern auch moralische Orientierung. Doch das rechte Weltbild bietet keine universellen moralischen Prinzipien, sondern partikularistische und exkludierende Werte, die weder stabil noch attraktiv sind. Es entzieht sich selbst die Grundlage, die es vorgibt, zu verteidigen.
  • Das Ordnungsversprechen: Dennoch bleibt ein Aspekt wichtig, der nicht unterschätzt werden darf: Das rechte Weltbild gibt ein starkes Ordnungsversprechen in einer chaotischen, komplexen und oft unübersichtlichen Welt. Diese vermeintliche Ordnung – so falsch und widersprüchlich sie auch ist – kann für viele Menschen eine große Anziehungskraft haben. Sie reduziert die Komplexität der Welt auf ein klares Gut-Böse-Narrativ und bietet scheinbar einfache Antworten auf schwierige Fragen.

3. Warum Ordnung so gefährlich sein kann

Dieses Ordnungsversprechen ist funktional und spielt insbesondere in antisemitischen und verschwörungsideologischen Denkmustern eine zentrale Rolle. Es bietet Menschen eine scheinbare Sicherheit, indem es die Unordnung und Komplexität der Welt in ein verständliches, kontrollierbares System übersetzt. Doch diese Ordnung basiert auf Ausgrenzung, Abwertung und simplifizierenden Feindbildern – sie ist weder stabil noch moralisch haltbar.

Daher ist es entscheidend, diese Mechanismen in Gesprächen und Diskussionen aufzubrechen. Das bedeutet, nicht nur auf Widersprüche hinzuweisen, sondern auch zu zeigen, dass die scheinbare Ordnung des rechten Weltbildes keine Antworten bietet, sondern die Probleme nur weiter verschärft. Präventive Aufklärung („Pre-Bunking“) ist hier zentral: Menschen frühzeitig für diese Dynamiken zu sensibilisieren, bevor sie sich in ideologische Weltbilder verstricken, die auf falschen Versprechen basieren.


4. Warum es mehr braucht als Kritik an Einzelpersonen

Der Fokus auf einzelne Akteure wie Elon Musk oder prominente Vertreter der neuen Rechten greift zu kurz. Diese Personen sind sichtbare Manifestationen eines viel tiefer liegenden Problems: eines Kulturkampfes, der bereits seit Jahrzehnten stattfindet und gezielt darauf abzielt, die Deutungsmacht über gesellschaftliche Werte und Normen zu verschieben. Es ist nicht entscheidend, wer diese Mechanismen nutzt, sondern dass sie genutzt werden – und dass wir diese Mechanismen verstehen, entlarven und entkräften.


5. Was wir mitnehmen können

Dieser Text soll dazu anregen, genauer hinzusehen und Begriffe, Denkmuster und Weltbilder kritisch zu hinterfragen – auch die eigenen. Es geht darum, universelle Werte wie Menschenrechte und Freiheit gegen eine Politisierung zu verteidigen, die sie in einer falschen Dichotomie von „links“ und „rechts“ gefangen hält. Gleichzeitig müssen wir lernen, mit Menschen zu sprechen, die von rechten Weltbildern angezogen werden, und ihnen die Widersprüche und Gefahren dieser Ideologien verständlich zu machen.

Denn letztlich geht es nicht nur darum, die Universalität der Menschenrechte zu bewahren. Es geht darum, einer pluralen, diversen Gesellschaft eine stabile Grundlage zu geben – eine Grundlage, die auf Freiheit, Gleichheit und Würde für alle beruht.

Das Weltbild der neuen Rechten entpuppt sich als ein Modell voller Widersprüche, das weder für seine Anhänger noch für die Gesellschaft eine positive Perspektive bietet. Es entwertet das Volk, zerstört universelle Werte und bietet keine Grundlage für eine stabile Zukunft. Doch genau deshalb ist es umso wichtiger, dass wir Begriffe und Werte kritisch hinterfragen und universelle Prinzipien verteidigen – als Basis für alle.

Literaturtipps:

Das alte Denken der neuen Rechten.

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