Warum politische Spektakel unsere Wahrnehmung verzerren – und was der Begriff ‚Remigration‘ wirklich bedeutet
Warum wir über Genauigkeit sprechen müssen
Die vergangenen Wochen haben uns ein bemerkenswertes Schlaglicht auf die politische Gegenwart geworfen. In Gießen gründete sich die neue Jugendorganisation der AfD, die „Generation Deutschland“. Eigentlich wäre das ein Anlass gewesen, genauer hinzuhören: Welche Rolle soll diese Organisation künftig spielen? Welche Inhalte werden gesetzt? Und wie verhält sich das zu der Einschätzung des Bundesamts für Verfassungsschutz, die AfD verfolge gesichert rechtsextremistische Bestrebungen?
Doch die öffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte sich fast vollständig auf eine Figur, die schnell zum Meme wurde: ein Redner, der mit übertriebenem Gestus und gerolltem R eine Hitler-Imitation bot. Der sogenannte „Hitler-Clown“ war in kürzester Zeit das Bild des Tages. Ein Bild, das so grell war, dass es alles andere überblendete.
Genau hier beginnt das Problem.
Denn während die Aufmerksamkeit auf dem Spektakel lag, blieb vieles unbemerkt, das politisch weit relevanter ist. Beispielsweise die Worte einer neu gewählten Vorständin, die offen von einer „millionenfachen Remigration“ sprach. Die strategische Neugründung eines Jugendverbands, der enger an die Mutterpartei gebunden ist als die alte Junge Alternative. Und die Frage, welche politischen Signale von diesem Tag ausgehen.
Wir erleben gerade eine Verschiebung im politischen Diskurs. Bilder dominieren Argumente. Emotionen verdrängen Analyse. Und Begriffe, die eine klare verfassungsfeindliche Bedeutung tragen, verschwimmen in der Aufregung des Moments.
Dieser Artikel ist der Versuch, dem etwas entgegenzusetzen. Nicht durch größere Empörung, sondern durch größere Genauigkeit.
Ich möchte aufzeigen, warum der Begriff „Remigration“ kein migrationspolitischer Vorschlag ist, sondern ein Signalbegriff extremistischer Ideologien. Warum NS-Vergleiche ihre Grenzen haben – und manchmal mehr schaden als nutzen. Und warum wir eine sachliche, rechtsstaatlich orientierte Sprache brauchen, wenn wir die politische Mitte erreichen wollen.
Es geht nicht darum, die Aufregung zu verstärken. Es geht darum, klarer zu sehen.
Das Spektakel und seine Grenze: Warum NS-Vergleiche nicht jeden erreichen
Der „Hitler-Clown“ hat in kürzester Zeit die Timelines geflutet. Kaum jemand, der nicht zumindest einen Ausschnitt gesehen hat. Dieses Bild wirkt auf den ersten Blick wie ein Beweis für das, was viele ohnehin wissen oder fühlen: dass die AfD sich in Teilen so weit radikalisiert hat, dass historische Parallelen unausweichlich erscheinen.
Und ja: Die historische Analogie ist nicht aus der Luft gegriffen. Für viele Menschen mit einem klaren demokratischen Kompass ist sie unmittelbar verständlich. Sie sehen bestimmte Muster, bestimmte Rhetoriken, bestimmte Feindbilder – und sie ziehen einen Vergleich, der ihnen Orientierung gibt.
Doch diese Reaktion erfasst nur einen Teil der Gesellschaft.
Für eine große Gruppe Menschen, die politisch unentschlossen, nicht eindeutig zuordenbar oder schlicht wahlmüde ist, funktioniert dieser Vergleich anders. Nicht als Warnung, sondern als Irritation. Sie erleben die AfD im Alltag oft nicht im Radikalmodus. Sie begegnen ihr in Talkshowausschnitten, auf Wahlplakaten, in lokalen Debatten – meist nüchterner, professioneller, kontrollierter. Diese Alltagserfahrung prallt dann auf historische Bilder, die maximal emotionalisieren.
Daraus entsteht kognitive Dissonanz: Das innere Gefühl, dass die beiden Ebenen nicht zusammenpassen.
Und wenn etwas innerlich nicht zusammenpasst, entscheidet sich das Gehirn häufig gegen das stärkere Bild und für das, was vertrauter wirkt. Die Hitler-Analogie wird dann nicht zur Warnung, sondern zur Übertreibung. Sie trifft ins Leere, weil sie den eigenen Erfahrungsrahmen sprengt.
Damit entsteht eine paradoxe Situation: Ein Vergleich, der historisch durchaus legitim ist, verliert politisch an Überzeugungskraft – genau dort, wo Aufklärung am dringendsten wäre.
Für die politische Kommunikation bedeutet das: Wir erhöhen nicht die Wirksamkeit, wenn wir den Alarm lauter stellen. Wir erzielen eher das Gegenteil. Was fehlt, ist nicht mehr Emotion, sondern mehr Analyse. Die Fähigkeit, extremistische Entwicklungen der Gegenwart zu benennen, ohne sie ausschließlich in die Bildsprache der Vergangenheit zu pressen.
NS-Vergleiche markieren eine moralische Linie. Aber sie erklären selten die Realität, in der Menschen heute Entscheidungen treffen.
Genau deshalb reicht der historische Blick allein nicht aus. Wenn wir die verfassungsfeindliche Dimension bestimmter Begriffe sichtbar machen wollen, brauchen wir zusätzliche Zugänge, die sich nicht auf emotionale Bilder stützen, sondern auf eine klare Analyse der Gegenwart. Zugänge, die nachvollziehbar machen, warum bestimmte Aussagen demokratische Grundprinzipien berühren – und was daraus folgt.
„Remigration“ als Schlüsselbegriff: Bedeutung, Herkunft und strategische Doppeldeutigkeit
Deshalb lohnt es sich, an einem konkreten Beispiel sichtbar zu machen, wie moderne extremistische Sprache funktioniert und warum ihre Wirkung oft unterschätzt wird. Ein Begriff eignet sich dafür besonders: „Remigration“. Er zeigt, wie harmlos ein Wort klingen kann und wie radikal die dahinterliegenden Inhalte tatsächlich sind. Und er macht deutlich, warum wir künftig deutlicher unterscheiden müssen zwischen demokratischen Migrationsdiskursen und jenen Konzepten, die mit Migrationspolitik nichts mehr zu tun haben.
Der Begriff wirkt auf den ersten Blick technokratisch. Er erinnert an Verwaltung, an geordnete Verfahren, an etwas, das innerhalb staatlicher Regeln stattfinden könnte. Gerade diese scheinbare Neutralität macht ihn anschlussfähig für Menschen, die sich eine strengere Migrationspolitik vorstellen, ohne dabei eine antidemokratische Agenda zu unterstützen. Der Begriff lässt viel Raum für Projektionen.
Doch diese Offenheit ist nicht zufällig.
„Remigration“ kommt aus einem Diskursfeld, das seit Jahren von völkischen und extremistischen Akteuren geprägt wird. In diesen Kontexten meint der Begriff nicht die Rückführung individuell geprüfter, vollziehbar ausreisepflichtiger Personen. Er beschreibt vielmehr die kollektive Entfernung bestimmter Bevölkerungsgruppen, denen aufgrund ethnischer Zuschreibungen die Zugehörigkeit zum Gemeinwesen abgesprochen wird.
Damit bewegt sich der Begriff klar im Bereich des Verfassungsfeindlichen.
Verfassungsfeindlich sind politische Ziele oder Aussagen dann, wenn sie gegen die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind – etwa die Menschenwürde, die Gleichheit vor dem Gesetz oder das Recht, nicht aufgrund ethnischer Merkmale ausgeschlossen zu werden. Diese Bewertung folgt nicht aus Empörung, sondern aus der Struktur des Begriffs selbst.
Das heißt aber noch nicht, dass etwas verfassungswidrig wäre. Verfassungswidrigkeit ist kein politischer Vorwurf. Sie entsteht erst durch ein rechtsstaatliches Verfahren, in dem ein Gericht prüft, ob eine Organisation oder Partei aktiv und kämpferisch gegen die verfassungsmäßige Ordnung arbeitet.
Diese Unterscheidung ist wichtig.
Extremistische Sprache bewegt sich häufig in genau diesem Zwischenraum: Sie ist verfassungsfeindlich im inhaltlichen Sinn, ohne dass die Organisation bereits verfassungswidrig erklärt wäre. Der Begriff liefert also Hinweise auf eine politische Zielsetzung – und diese Hinweise können später im Verfahren relevant werden.
Genau diese Dynamik wurde auf dem Gründungskongress der „Generation Deutschland“ sichtbar. Julia Gehrckens, frisch in den Vorstand gewählt, erklärte dort: Nur millionenfache Remigration schützt unsere Frauen und Kinder.
Dieser Satz überschreitet eine Grenze – nicht durch Pathos, sondern durch Logik.
„Millionenfache Remigration‘ kann sich nicht auf die Gruppe der vollziehbar Ausreisepflichtigen beziehen. Ihre Zahl liegt um Größenordnungen darunter. Die Forderung kann sich auch nicht alleine auf Straftäter stützen – deren Zahl in diesem Kontext liegt nicht ansatzweise bei Millionen.
Wer „Millionen“ sagt, meint zwangsläufig Menschen, die legal hier leben.
Menschen mit Aufenthaltstitel.
Menschen mit Freizügigkeitsrechten.
Menschen, die arbeiten, Familien gegründet haben, Steuern zahlen.
Menschen, die teilweise deutsche Staatsbürger:innen sind.
An dieser Stelle wird die verfassungsfeindliche Dimension sichtbar.
Der Begriff beschreibt kein migrationspolitisches Instrument, sondern eine Maßnahme, die grundlegende Rechte breiter Bevölkerungsgruppen infrage stellt. Damit bewegt sich die Forderung klar im Bereich extremistischer Bestrebungen. Ob daraus im juristischen Sinn ein verfassungswidriges Verhalten wird, ist Sache eines späteren Gerichtsverfahrens.
Für die politische Analyse genügt jedoch die Feststellung: Der Begriff „Remigration“ steht nicht innerhalb des demokratischen Spektrums. Er benennt ein Ziel, das sich mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbaren lässt – unabhängig davon, wie moderat er formuliert wird.
Deshalb braucht es im nächsten Schritt eine nüchterne Betrachtung. Zahlen können helfen, zu verstehen, warum „Remigration“ nicht innerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens verortet werden kann und welche Bevölkerungsgruppen davon faktisch betroffen wären.
Was Zahlen uns erlauben zu sehen: Wie ein verfassungsfeindlicher Begriff in die Mitte rutschte
Bevor wir über politische Folgen sprechen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Realität hinter dem Wort „Remigration“. Nicht, um Statistiken auszubreiten, sondern weil wenige Zahlen reichen, um die inhaltliche Bedeutung des Begriffs klar einzuordnen.
In Deutschland leben rund 14,1 Millionen ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger[1]. Nach amtlichen Angaben der Bundesregierung waren zum Stichtag 31.12.2024 insgesamt 322.384 Menschen ausreisepflichtig, davon 249.265 mit einer Duldung (BT-Drs. 21/1239).
Mehr braucht es nicht, um zu verstehen:
„Millionenfache Remigration“ ist innerhalb rechtsstaatlicher Kategorien nicht darstellbar.
Sie kann sich nicht auf ausreisepflichtige Personen beziehen – ihre Zahl liegt schlicht nicht im Millionenbereich.
Wer also von „Millionen“ spricht, meint zwangsläufig Menschen, die legal hier leben:
EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, Menschen mit Aufenthaltstiteln, dauerhaft Integrierte, Eingebürgerte, Doppelstaater. Diese Gruppen genießen verfassungsrechtlich geschützte Rechte. Maßnahmen, die sich gegen sie richten, wären nicht migrationspolitisch – sie wären verfassungsfeindlich, weil sie zentrale Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verletzen würden.
An dieser Stelle wird sichtbar, was der AfD tatsächlich gelungen ist.
Sie hat einen Begriff, der in seiner inhaltlichen Struktur klar verfassungsfeindlich ist, so in die öffentliche Debatte eingeschleust, dass er heute häufig wie ein legitimer migrationspolitischer Vorschlag behandelt wird. „Remigration“ erscheint dadurch als eine Variante von Migrationspolitik, obwohl er mit Migrationspolitik nichts zu tun hat. Der Begriff verschiebt Wahrnehmung, nicht Realität.
Die Folgen sind gravierend:
- Der demokratische Diskurs über Migration wird verzerrt, weil verfassungsfeindliche Positionen unter einem administrativen Deckmantel auftreten.
- Menschen mit legitimen migrationspolitischen Anliegen fühlen sich in die Nähe extremistischer Forderungen gedrängt.
- Die politische Mitte wird verunsichert und in Teilen stillgelegt, weil jede kritische Nachfrage sofort mit Radikalisierung verwechselt wird.
- Gleichzeitig entsteht der Eindruck, die AfD biete „lösungsorientierte Klarheit“, obwohl sie tatsächlich einen Diskursraum besetzt, der außerhalb des demokratischen Spektrums liegt.
Kurz gesagt:
Ein verfassungsfeindlicher Begriff wurde erfolgreich in ein Feld verschoben, das in einer Demokratie eigentlich für sachliche migrationspolitische Auseinandersetzung vorgesehen ist.
Ob aus dieser verfassungsfeindlichen Position im juristischen Sinne eine verfassungswidrige Praxis oder Zielsetzung wird, kann – und darf – nur ein Gericht feststellen. Die Frage der Verfassungswidrigkeit ist Teil eines rechtsstaatlichen Prüfverfahrens, nicht des öffentlichen Meinungsstreits.
Aber für die politische Analyse genügt bereits diese Feststellung:
Der Begriff „Remigration“ beschreibt ein Ziel, das außerhalb des demokratischen Spektrums liegt – und er tut dies in einer Sprache, die lange Zeit nicht als solche erkannt wurde.
Genau deshalb ist die sachliche Trennung zwischen Migrationsdebatten und Remigrationsdebatten kein semantisches Detail, sondern eine demokratische Notwendigkeit.
Die Rolle des Rechtsstaats: Warum wir Verfahren brauchen – und nicht die Logik des Spektakels
Wenn wir über politische Verantwortung sprechen, lohnt sich ein genauer Blick auf den Rechtsstaat. Er unterscheidet strikt zwischen zwei Ebenen:
- verfassungsfeindlichen Positionen, die gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind,
- und verfassungswidrigem Handeln, das erst ein Gericht feststellen kann.
Diese Differenz ist keine juristische Spitzfindigkeit. Sie ist das Fundament dafür, dass eine Demokratie nicht in Stimmungslagen und moralischen Reflexen entscheidet, sondern in Verfahren, die fair, überprüfbar und unabhängig sind. Verfassungsfeindlichkeit können wir politisch analysieren und benennen. Verfassungswidrigkeit dagegen entsteht nicht im Diskurs, sondern wird rechtsstaatlich festgestellt.
Genau diese Unterscheidung ist wichtig, wenn wir den Blick auf die Ereignisse der vergangenen Wochen richten.
Der sogenannte „Hitler-Clown“ wurde nach seinem Auftritt aus der AfD ausgeschlossen. Für viele wirkte das wie ein Beweis, dass die Partei klare Grenzen zieht. Doch bei genauerem Hinsehen entspricht das Geschehen einem Muster, das wir bereits aus der Debatte um NS-Vergleiche kennen.
Das Spektakel zieht Aufmerksamkeit auf sich, weil es historisch aufgeladen ist und starke Emotionen hervorruft. Die Distanzierung anschließend wirkt konsequent – und erfüllt eine psychologische Funktion: Sie löst die kognitive Dissonanz vieler Menschen auf.
„Wenn sie jemanden mit Hitler-Gestik ausschließen, können sie selbst nicht extrem sein.“
Genau dadurch verschiebt sich der Fokus.
Während sich öffentliche Empörung und mediale Diskussionen am Spektakel abarbeiten, treten die inhaltlich viel bedeutenderen Aussagen in den Hintergrund. Aussagen wie jene von Julia Gehrckens, die „millionenfache Remigration zum Schutz unserer Kinder“ fordert. Eine Formulierung, die – nüchtern betrachtet – ein politisches Ziel beschreibt, das sich gegen Menschen richtet, die legal in Deutschland leben. Ein Ziel, das klar verfassungsfeindlich ist.
Diese Dynamik folgt einer einfachen Logik:
Das Bild wirkt stärker als der Inhalt. Die NS-Anspielung dominiert die Wahrnehmung, die schnelle Distanzierung erzeugt vermeintliche Entlastung, und die wirklich relevanten Positionen verschwinden aus dem Blickfeld.
So entsteht Normalisierung nicht durch offene Zustimmung, sondern durch Ablenkung und Überlagerung.
Gerade deshalb reicht der Begriff Extremismus an dieser Stelle nicht aus. Er hilft wenig, weil er moralisch stark aufgeladen ist und politisch leicht instrumentalisiert werden kann. Was wir stattdessen brauchen, ist die präzise Sprache des Grundgesetzes: Verfassungsfeindlichkeit beschreibt das politische Ziel – und genau das ist der Maßstab, an dem „Remigration“ einzuordnen ist.
Aber ob aus einer verfassungsfeindlichen Position im juristischen Sinne eine verfassungswidrige Praxis geworden ist, kann nur ein Verfahren klären. Und genau für diesen Zweck existiert der Rechtsstaat:
um die politische Debatte vor Verkürzung, Ablenkung und Inszenierung zu schützen – und um eine verbindliche, faire und überprüfbare Entscheidung herbeizuführen.
Ein Verbotsverfahren ist in dieser Logik kein Kampfmittel.
Es ist ein Klärungsverfahren.
Es gibt der AfD die Möglichkeit, ihre verfassungsfeindlichen Positionen zu relativieren oder aufzugeben – oder macht sichtbar, dass sie sie weiter verfolgt. Die Entscheidung liegt nicht bei Empörung, nicht bei Talkshows, nicht bei Stimmungen. Sie liegt bei einem Gericht.
Und genau das schützt die Demokratie:
dass wir verfassungsfeindliche Diskurse nicht versehentlich legitimieren, weil sie geschickt inszeniert, geschickt abgelenkt oder geschickt aus dem Fokus verschoben wurden.
Sondern dass wir sie prüfen, präzise benennen und – wo notwendig – rechtsstaatlich klären lassen.
Was wir daraus lernen – und was jetzt zählt
Wenn wir die vergangenen Wochen nüchtern betrachten, zeigt sich ein Grundmuster, das für politische Bildung und demokratische Kultur zentral ist: Sprache entscheidet darüber, was wir sehen – und was wir übersehen. Das Spektakel dominiert schnell die Wahrnehmung. Doch die verfassungsfeindlichen Inhalte, die in ruhigerer Sprache formuliert werden, sind oft weit bedeutsamer als der Auftritt, der Schlagzeilen produziert.
Für die demokratiefördernde Arbeit folgt daraus eine einfache, aber anspruchsvolle Aufgabe: Wir müssen Begriffe sortieren. Wir müssen erklären, warum manche Forderungen innerhalb des demokratischen Spektrums liegen – und warum andere verfassungsfeindlich sind, selbst wenn sie nicht laut, nicht drastisch und nicht historisch aufgeladen auftreten. Und wir müssen diese Unterscheidungen geduldig erklären, auch dann, wenn die öffentliche Debatte sich lieber an Bildern festhält als an Inhalten.
Solange jedoch die Verfassungsfeindlichkeit bestimmter Aussagen nicht zuerst von denen verstanden und benannt wird, die sie äußern, kann sie auch von denen, die zuhören, nicht verstanden werden. Und solange sie nicht verstanden wird, bleiben verfassungsfeindliche Remigrationsdiskurse und legitime Migrationsdiskurse ununterscheidbar. In dieser Unschärfe liegt die eigentliche Gefahr: Sie sorgt dafür, dass jeder Versuch, sachlich über Migration zu sprechen, ungewollt auf das Konto derer einzahlt, die eine ganz andere, verfassungsfeindliche Agenda verfolgen.
Deshalb brauchen wir eine präzise Sprache. Nicht, um Debatten enger zu machen, sondern um sie überhaupt wieder führbar zu machen. Begriffe wie Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungswidrigkeit sind keine juristische Feinmechanik, sondern Werkzeuge, die demokratische Räume schützen. Sie ermöglichen es, Kritik zu äußern, ohne in völkische Logiken abzurutschen. Und sie helfen dabei, migrationspolitische Fragen von den Konzepten zu trennen, die mit Migration nichts zu tun haben.
Der Rechtsstaat klärt, was verfassungswidrig ist.
Aber es liegt an uns, zu benennen, was verfassungsfeindlich ist – und warum das einen Unterschied macht. Und erst wenn dieser Unterschied sprachlich, politisch und gesellschaftlich verstanden wird, können demokratische Debatten wieder stattfinden, ohne von jenen überlagert zu werden, die sie abschaffen wollen.
[1] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/_inhalt.html#:~:text=Finale%20Ergebnisse%20der%20Ausl%C3%A4nderstatistik%20zum%2031.12.2024%20Nach,ist%20dieser%20Wert%20um%201%2C2%20%25%20gestiegen.