Weniger Partnerschaften, größere Herausforderungen
Die Zukunft der Demokratiearbeit in Baden-Württemberg
Positive Entwicklungen, aber auch Rückschritte:
Wir freuen uns darüber, dass viele Partnerschaften für Demokratie zur Antragstellung für die kommende Förderperiode eingeladen wurden. Dies verdeutlicht, wie entscheidend die Stärkung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen demokratiefeindliche Strömungen ist. Doch leider müssen wir feststellen, dass ab 2025 weniger Partnerschaften in Baden-Württemberg ihre wichtige Arbeit fortführen können. Dieser Rückgang stellt eine ernsthafte Schwächung der zivilgesellschaftlichen Strukturen dar, besonders in Anbetracht wachsender Herausforderungen.
Wachsende demokratiefeindliche Phänomene:
In einer Zeit, in der extremistische Tendenzen zunehmen – darunter rechtsextreme Netzwerke, antisemitische Vorfälle und die rasche Verbreitung von Verschwörungstheorien über Social Media – sind die Partnerschaften für Demokratie von unschätzbarem Wert. Weniger aktive Partnerschaften bedeuten weniger präventive Maßnahmen, was langfristig die Stabilität und Widerstandsfähigkeit unserer Demokratie gefährden könnte.
Gemeinsam Herausforderungen begegnen:
Wir möchten die verbleibenden Partnerschaften sowie alle zivilgesellschaftlichen Akteure ermutigen, bei Problemen oder Beratungsbedarf auf unsere Fachstelle Extremismusdistanzierung und andere Beratungsangebote wie die Mobile Beratung oder Opferberatungsstellen zurückzugreifen. Ob durch Workshops, Vorträge oder individuelle Unterstützung – wir stehen bereit, gemeinsam die Brücke zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu schlagen.
Angesichts der aktuellen Herausforderungen für die Partnerschaften für Demokratie in Baden-Württemberg haben wir als Fachstelle Extremismusdistanzierung einige zentrale demokratiefeindliche Phänomene identifiziert, die überregional relevant sind. Diese Einschätzungen können als Grundlage für Antragstellungen genutzt werden.
1. Regionale Herausforderungen:
„Baden-Württemberg steht vor zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen, die durch rechtsextreme Ideologien, Rassismus und Verschwörungstheorien befeuert werden. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (2023) sind rechtsextreme Einstellungen tief in Teilen der Gesellschaft verankert. Auch antisemitische Überzeugungen und die Verbreitung von Hassreden über soziale Medien haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Diese Phänomene betreffen nicht nur ländliche Regionen, sondern ebenso urbane Räume. Der Druck auf demokratische Strukturen wächst und erfordert verstärkte präventive Maßnahmen.“
2. Rechtsextremismus und organisierte Netzwerke:
„Rechtsextremistische Gruppierungen vernetzen sich zunehmend regional und überregional. Besonders in ländlichen Gebieten bauen sie Rückzugsorte auf, von denen aus sie ihre Ideologie verbreiten. Studien zeigen, dass diese Netzwerke zunehmend professionalisiert agieren und gezielt junge Menschen ansprechen. Auch in Baden-Württemberg sind ländliche Regionen besonders betroffen, jedoch dringen rechtsextreme Narrative auch in urbane Gebiete vor. Es bedarf gezielter Interventionsmaßnahmen, die regional wie lokal greifen, um diese Netzwerke zu destabilisieren und den Zulauf zu verringern.“
3. Antisemitismus in verschiedenen Erscheinungsformen:
„Antisemitismus ist eine der ältesten und gleichzeitig hartnäckigsten Formen der Menschenfeindlichkeit. In Baden-Württemberg zeigt der Antisemitismusbericht des Landes 2023, dass sowohl verbale als auch physische Angriffe gegen jüdische Einrichtungen zunehmen. Häufig werden antisemitische Vorurteile im Kontext von Verschwörungstheorien verbreitet. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, da die Bekämpfung antisemitischer Einstellungen nicht nur im rechtsextremen Milieu ansetzen muss, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen. Hier ist eine zielgruppenspezifische Präventionsarbeit unerlässlich.“
4. Desinformation und politische Polarisierung durch Social Media:
„Social Media spielen eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung von Desinformation und Hassbotschaften. Laut dem Hans-Bredow-Institut (2023) tragen Plattformen wie Facebook, Twitter und TikTok zunehmend zur Radikalisierung von Nutzer*innen bei, da polarisierende Inhalte durch algorithmische Mechanismen verstärkt werden. Diese Dynamik gefährdet nicht nur den politischen Diskurs, sondern schwächt auch das Vertrauen in demokratische Institutionen. Insbesondere Jugendliche sind anfällig für extremistische Narrative, weshalb die Vermittlung von Medienkompetenz eine zentrale präventive Maßnahme darstellt.“
5. Islamistische Radikalisierung und Extremismus:
„Islamistische Radikalisierung stellt eine zunehmende Bedrohung in Baden-Württemberg dar. Laut dem Verfassungsschutzbericht des Landes (2022) sind insbesondere junge Menschen über Social Media oder religiöse Netzwerke anfällig für extremistische Propaganda. Diese Radikalisierung findet oft im Verborgenen statt und wird durch soziale Ausgrenzung verstärkt. Hier bedarf es präventiver Maßnahmen, die sowohl Früherkennung als auch Deradikalisierung in den Fokus rücken, um gefährliche Ideologien zu bekämpfen, bevor sie sich verfestigen.“
6. Antidemokratische Protestbewegungen:
„Antidemokratische Protestbewegungen, wie die „Querdenker“-Proteste während der Corona-Pandemie, stellen eine weitere große Herausforderung dar. In vielen Fällen werden diese Bewegungen von rechtsgerichteten Akteuren instrumentalisiert, um Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen zu säen. Laut dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung (2022) greifen solche Bewegungen grundlegende demokratische Prinzipien an und fördern die Polarisierung. Hier sind gezielte Maßnahmen zur Förderung des politischen Dialogs und zur Stärkung des Vertrauens in den Rechtsstaat notwendig.“
7. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus:
„Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bleiben tief verwurzelte Probleme in Baden-Württemberg. Eine Studie des Statistischen Landesamts (2021) zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color überproportional häufig Opfer von Diskriminierung und rassistischer Gewalt werden. Diese Vorfälle geschehen sowohl im Alltag als auch in strukturellen Kontexten, wie dem Zugang zu Arbeit, Bildung und Wohnraum. Rassismus unterminiert das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und fördert gesellschaftliche Spaltung. Gleichzeitig werden rassistische Narrative durch rechtsextreme Gruppierungen verstärkt und für politische Mobilisierung genutzt. Die Bekämpfung von Rassismus erfordert eine umfassende Strategie, die sowohl präventive Bildungsarbeit als auch institutionelle Reformen umfasst. Hier müssen besonders marginalisierte Gruppen gestärkt und in demokratische Prozesse eingebunden werden, um ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu sichern.“
8. Antifeminismus und geschlechtsspezifische Feindlichkeit:
„Antifeminismus ist ein demokratiefeindliches Phänomen, das zunehmend sichtbarer wird und sich gegen Gleichstellungspolitiken, Geschlechtergerechtigkeit und die Rechte von Frauen und queeren Menschen richtet. Studien zeigen, dass antifeministische Ideologien oft eng mit rechtsextremistischen Strömungen verbunden sind, da sie traditionelle Geschlechterrollen idealisieren und progressive Geschlechterpolitik als Bedrohung darstellen. Laut der Friedrich-Ebert-Stiftung (2022) nutzen antifeministische Akteure, darunter auch Männerrechtsbewegungen, Desinformation und Hassrede, um demokratische Errungenschaften wie das Recht auf Selbstbestimmung zu delegitimieren. In Baden-Württemberg werden zunehmend frauenfeindliche Kampagnen über Social Media und in politischen Diskursen beobachtet, die Geschlechtergerechtigkeit als Angriff auf die „natürliche“ Ordnung darstellen. Es bedarf gezielter Präventions- und Aufklärungsarbeit, um diese Narrative zu entkräften und demokratische Werte zu schützen.“
Literaturhinweise:
- Friedrich-Ebert-Stiftung, „Die distanzierte Mitte
Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23“
Link zur Studie - Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2023
Link zum Bericht - „deconstruct antisemitism!Antisemitische Codes und Metaphern erkennen“ (Amadeu Antonio Stiftung)
Link zur Übersicht - „ZWEITER BERICHT DES BEAUFTRAGTEN DER LANDESREGIERUNG BADEN-WÜRTTEMBERG GEGEN ANTISEMITISMUS 2023. SACHSTAND UND EMPFEHLUNGEN“
Link zum Bericht
Zusammen stärker für Demokratie
Die aktuellen Herausforderungen erfordern ein entschlossenes und koordiniertes Handeln. Prävention, Aufklärung und die Förderung von Medienkompetenz sind zentrale Bausteine, um unsere demokratische Kultur zu schützen. Trotz des Rückgangs der Partnerschaften für Demokratie bleibt es unser gemeinsames Ziel, demokratiefeindlichen Strömungen entschlossen entgegenzutreten. Wir stehen bereit, die nötigen Brücken zu bauen, um gemeinsam für eine widerstandsfähige und offene Gesellschaft einzutreten.